Fülszöveg
Weltausstellungsrummel, Praterkorso, Frau Anna Sacher, eine - trotz 1866 - farbenpráchtige stolze Armee, historisierende Prunkbauten, Wáschermádelund Hofbálle, Walzer, Heurigenseligkeit, Frühjahrsparaden, Herbstmanöver, der alte Kaiser... Es war eine heile Welt, die von sich selbst glaubte, sie würde so in alle Ewigkeit weiterbestehen. Und als ihr auf den Schlachtfeldern Galiziens und Italiens ein jáher Untergang bereitet wurde, war lángst im verborgenen eine ganz andere Welt entstanden, weit weniger „heil", aber dafür so wertbestándig, daL das 20. Jahrhundert auf allén Gebieten davon profitierte. Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis man erkannte, welch ungeheure geistige Ausstrahlungen dieser Generation, die aus dem Zerfall schöpfte, zu verdanken sind. Erst in unseren Tagén kann mit dem nötigen Abstand die Bilanz gezogen werden über all jene Dinge, die uns die „fröhliche Apokalypse" dieser neunzig Jahre, von 1848 bis 1938, beschert hat. Wer erinnert sich heute noch daran, dafí etwa die...
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Weltausstellungsrummel, Praterkorso, Frau Anna Sacher, eine - trotz 1866 - farbenpráchtige stolze Armee, historisierende Prunkbauten, Wáschermádelund Hofbálle, Walzer, Heurigenseligkeit, Frühjahrsparaden, Herbstmanöver, der alte Kaiser... Es war eine heile Welt, die von sich selbst glaubte, sie würde so in alle Ewigkeit weiterbestehen. Und als ihr auf den Schlachtfeldern Galiziens und Italiens ein jáher Untergang bereitet wurde, war lángst im verborgenen eine ganz andere Welt entstanden, weit weniger „heil", aber dafür so wertbestándig, daL das 20. Jahrhundert auf allén Gebieten davon profitierte. Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis man erkannte, welch ungeheure geistige Ausstrahlungen dieser Generation, die aus dem Zerfall schöpfte, zu verdanken sind. Erst in unseren Tagén kann mit dem nötigen Abstand die Bilanz gezogen werden über all jene Dinge, die uns die „fröhliche Apokalypse" dieser neunzig Jahre, von 1848 bis 1938, beschert hat. Wer erinnert sich heute noch daran, dafí etwa die moderne Sprachphilosophie, die Psychoanalyse, die Theorie vom Grenznutzen, die Soziologie des Wissens, der Feuilletonismus, der Asthetizismus Hofmannsthalscher Prágung, die Reine Rechtslehre, die Zwölftonmusik von Osterreich aus ihren Weg angetreten habén? Viele der Persönlichkeiten, die diesesBuchbehandelt,sindweltbekannt geworden und geblieben, andere wieder sind so gut wie vergessen, aber ihr Beitrag zu einem neuen Weltbild verdient es sehr wohl, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. An Polaritáten herrscht jedenfalls kein Mangel: In derselben Stadt, in der Johann Straufí die „schöne blaue Donau" glorifizierte, rang Schönberg um einen neuen musikalischen Kosmos, und in einer dem Asthetizismus überschwenglich huldigenden Gesellschaft,
die von verlogenen Tabus gezeichnet war, habén Freud und Kari Kraus das Dickicht der Zweideutigkeiten und Doppelzüngigkeiten kompromifilos durchbrochen. Kontraste wie Lebenslust und Todestrieb, therapeutischer Nihilismus und Ignaz Semmelweis, Makart und Schiele, Brentano und Wittgenstein, Ottó Weininger und Rosa Mayreder zeigen, wie vielfáltig traditionelle und moderne Strömungen einander befruchteten. Dem Rückschauenden erscheint diese Epoche wie ein vom Schicksal gefügtes Ganzes; um so reizvoller, es in seinen widerstreitenden Elementen vor Augen geführt zu bekommen. Der Amerikaner Johnston registriert, was Österreich an geistigen Reichtümern hinterlassen hat und was andere daraus gemacht habén. Im Gegensatz zu Autoren, deren Liebe zu Österreich sentimental ist, sieht er das Land der Phá<1 ken aus der Distanz des Fremden und gründlichen Kenners zugleich. Und in dieser Eigenwilligkeit liegt ein Hauptreiz des Werkes.
Vissza